Beton weist im Vergleich zu den meisten anderen Materialien einen sehr geringen Energie- und Kohlenstoff-Fußabdruck auf.[1] Doch aufgrund der enormen Mengen, die als Baumaterial zum Einsatz kommen, ist er für etwa sieben Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich und hat damit einen schlechten Ruf in der Klimadebatte. Darüber hinaus wird oftmals übersehen, dass Beton im Laufe seines Lebenszyklus durch die Carbonatisierung einen signifikanten Teil des im Herstellungsprozess emittierten CO2 wieder dauerhaft speichert.
Kohlenstoffsenken oder CO2-Senken spielen eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Als CO2-Senken werden Ökosysteme oder geologische Reservoirs bezeichnet, die CO2 aufnehmen und dauerhaft oder vorübergehend speichern können. Zu den bekanntesten Senken zählen die Weltmeere, Wälder und Moore. „Aber auch Beton nimmt im Rahmen der sogenannten Carbonatisierung CO2 aus der Umgebungsluft dauerhaft auf und bindet so einen Teil der bei der Zementherstellung verursachten CO2-Emissionen“, erklärt Professorin Agathe Robisson von der TU Wien.
Bei der Herstellung von Zementklinker wird Kalkstein durch Erhitzung „entsäuert“. Dabei wird das im Kalkstein eingebundene CO2 ausgetrieben, was etwa rund zwei Drittel der gesamten CO2-Emissionen in der Zementproduktion verursacht. Die Carbonatisierung ist technisch betrachtet die Umkehrung dieses Prozesses und eine chemische Reaktion, die ohne äußeres Zutun abläuft. „Weil Beton ein diffusionsoffener Baustoff ist, dringt – abhängig von der Qualität und Porenstruktur – Luft in unterschiedlichem Ausmaß in die Baustruktur ein. Das CO2 der Luft reagiert mit den calciumhaltigen Phasen wie Calciumhydroxid und Calcium-Silikat-Hydrat. Es entsteht Calcit oder Calciumcarbonat – die Hauptkomponente von Kalkstein. CO2 wird damit dauerhaft eingebunden, eine neuerliche Freisetzung des aus der Luft aufgenommenen CO2 ist ausgeschlossen“, so Robisson. Die Dauerhaftigkeit des Betons wird durch diesen Prozess sogar verbessert, er wird dichter und fester. Problematisch ist die Carbonatisierung jedoch für die Stahlbewehrung. Carbonatisierung passiert in allen Lebensphasen von Beton – bei der Herstellung, im Baueinsatz und auch beim Recycling. Die Geschwindigkeit der Reaktion nimmt jedoch mit der Zeit ab.
Wissenschaftlich bestätigt
Die Wirksamkeit und das große Potenzial der Carbonatisierung wird in zahlreichen internationalen Studien und Publikationen bestätigt. In einem Artikel der renommierten Fachzeitschrift Nature Geoscience[2] kommen 19 internationale Wissenschaftler:innen zu dem Schluss, dass weltweit ca. 43 Prozent der CO2-Prozessemissionen der Zementherstellung in den Jahren 1930 bis 2013 durch die Carbonatisierung von Beton und Mörtel im gleichen Zeitraum gebunden wurden.
Eine Meta-Studie[3] des schwedischen Umweltforschungsinstituts IVL kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Demnach können zudem jährlich rund 20 Prozent der CO2-Prozessemissionen bei der Herstellung von Zement durch die Carbonatisierung kompensiert werden. Dieser Prozentsatz kann sogar noch erhöht werden, wenn Beton am Ende des Lebenszyklus recycelt wird. Denn dabei entstehen neue Oberflächen, die weiter carbonatisieren können. Das IVL empfiehlt deshalb, in der jährlichen Treibhausgasbilanz für die Zementerzeugung eine Reduktion der CO2-Emissionen aus dem Rohmaterial um 23 Prozent anzuerkennen.
Und auch das internationale Wissenschaftler:innen-Netzwerk Global Carbon Project ist in seinem im Dezember 2020 veröffentlichten Report[4] erstmals auch explizit auf die Bedeutung und das Potenzial der „cement carbonation“ eingegangen. Dieses Gremium erstellt jährlich eine weltweite CO2-Bilanz, die auch als Grundlage für die UNO-Klimakonferenzen dient.
Forschende Industrie
Mit dem natürlichen Prozess der Carbonatisierung im verarbeiteten Beton ist das Potenzial des Baustoffs als CO2-Senke aber längst nicht ausgeschöpft. Die IVL-Studie zeigt, dass es vor allem im Recycling noch Luft nach oben gibt – speziell dann, wenn Beton aufgebrochen und gezielt mit CO2 überströmt wird. Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigt das Projekt „CO2 max“, das aktuell von der Salzburg Wohnbau gemeinsam mit Deisl-Beton (Hallein), dem Kies- und Recycling-Werk Ehrensberger (Tenneck) sowie der Bautechnischen Versuchs- und Forschungsanstalt Salzburg (bvfs) in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Start-up Neustark durchgeführt wird.
Bei diesem Projekt wird Betonabbruch zu Betongranulat zerkleinert und anschließend mit einer neuen Injektionstechnologie mit CO2 versetzt. Das veredelte Granulat wird der Produktionskette für frischen Beton zugeführt und ersetzt dort Sand und Kies. Das Betongranulat weist außerdem Eigenschaften auf, die bei der Betonproduktion weniger Zement und damit weniger CO2-Emissionen notwendig machen. So entsteht ein Beton, der teilweise aus Recyclingmaterial gewonnen wird, CO2 gebunden hat und zudem Emissionen reduziert. „Damit gelingt es, die Klimabilanz von Frischbeton um rund 10 Prozent zu verbessern. Erstmals wird diese Technologie, mit der Kohlendioxid in Recyclingbeton dauerhaft eingelagert wird, hier in Österreich angewendet“, sagt Roland Wernik, Geschäftsführer der Salzburg Wohnbau. Während Österreich hier noch am Anfang steht, können die Schweizer Forschungspartner aus dem Vollem schöpfen. Denn in der Schweiz ist dieses Verfahren, Treibhausgas in Beton zu binden, bereits etabliert und sogar Teil öffentlicher Ausschreibungen[5]. In Salzburg wird im Rahmen von „CO2 max“ ein Mehrparteien-Wohnhaus der Salzburg Wohnbau errichtet.
Ein weiteres Forschungsprojekt wurde von der Zementindustrie selbst initiiert. Anfang 2023 ist – unterstützt von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG – das Projekt „CarboRate“ der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie VÖZ gestartet. Dabei soll das CO2-Aufnahmepotenzial von Beton entlang der gesamten Wertschöpfungskette untersucht werden. „Damit schafft die VÖZ eine umfassende Datengrundlage zur Carbonatisierung zementgebundener Baustoffe in Österreich. Gute Daten sind die Voraussetzung, um CO2-Senken in der Klimabilanzierung nachvollziehbar darstellen zu können“, sagt Sebastian Spaun, VÖZ-Geschäftsführer. Ähnlich gelagerte Forschungsprojekte beschränken sich meist auf die Ermittlung der Carbonatisierungsraten unter künstlicher Begasung mit beigestelltem CO2[6]. Für die Begasung des Recyclingmaterials wird dabei CO2 verwendet, das aus unterschiedlichen Quellen abgeschieden worden ist.
Im Projekt „CarboRate“ wird das CO2-Aufnahmepotenzial auf verschiedene Arten ermittelt, eine davon ist die natürliche Lagerung des Betonbruchs über die vier Jahre Projektlaufzeit, aber auch CO2-Begasungen direkt am Ort der Entstehung – im Abgasstrom eines Zementwerkes – werden am Betonbruch durchgeführt. Die zur Gänze carbonatisierten Brechsandfraktionen werden anschließend als Recyclingmaterial in Bauprodukten eingesetzt, die Auswirkungen auf deren Produkteigenschaften werden untersucht.
In einem weiteren Arbeitspaket werden Betonfertigteile zum Zweck der beschleunigten Carbonatisierung mit CO2überströmt und das Aufnahmepotenzial wird gemessen. Ziel ist, das abgeschiedene CO2 dauerhaft in den Produkten einzubinden.
[1] Barcelo et al.: Cement and carbon emission. In: Materials and Structures, Volume 47 (6) – Jun 30, 2013 (Zur Deepdyve Webseite »)
[2] NATURE GEOSCIENCE DOI: 10.1038/NGEO2840; „Substantial global carbon uptake by cement carbonation“; S. 880Ff (Zum PDF »)
[3] CO2 uptake in cement-containing products; IVL Swedish Environmental Research Institute 2018 (Zum PDF »)
[4] Global Carbon Budget 2020; Zur Webseite »
[5] https://salzburg.orf.at/stories/3153064/
[6] C. J. Engelsen, J. Mehus, P. Claus, and D. H. Saether: Carbon Dioxide Uptake in Demolished and Crushed Concrete: CO2 Uptake During the Concrete Life Cycle Nordic Innovation Centre Project 03018, no. 1. 2005; M.-P. Pfleger, M. Kopp, M. Vill: Optimierung der CO2-Bilanz im Zuge der Herstellung von Betonbauwerken des konstruktiven Ingenieurbaus, Tagungsband des 12. Forschungsforums der österr. Fachhochschulen 2018.
Wie weit geht Gas? Bei der Smart Minerals GmbH wurde erforscht, wie gut neu errichtete und bestehende Lärmschutzwände CO2 aufnehmen.