Podiumsteilnehmer der Diskussion zum Vergaberecht
© eap.at/Gabor Mayerhofer

Öffentliche Vergabe braucht Praxisnähe und Fairness

Podiumsdiskussion „Vergaberecht zwischen Klimaschutz und Realität“

Unter dem Titel „Vergaberecht zwischen Klimaschutz und Realität“ diskutierten rund 50 Teilnehmende aus Bauwirtschaft, Verwaltung, Recht und Planung, wie ökologische, soziale und wirtschaftliche Kriterien rechtssicher und wirksam in öffentliche Ausschreibungen integriert werden können. Moderator und Journalist Maik Novotny führte durch die lebhafte Diskussion, in der deutlich wurde: Zwischen Anspruch und Umsetzung nachhaltiger Vergabe liegen noch einige Hürden, Missverständnisse und ein Informationsdefizit.

Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie und Vorstand von Beton Dialog Österreich, betonte die Schlüsselrolle der öffentlichen Hand: Rund 40 % des Betons werden in öffentlichen Bauvorhaben verwendet. Daher sei das Vergaberecht ein zentraler Hebel für klimafreundliches Bauen. Er verwies auf neue Instrumente wie die CO₂-Klassen für Beton, die mehr Transparenz schaffen und Ausschreibenden die klimagerechte Vergabe erleichtern sollen. Doch noch herrsche eine „babylonische Sprachverwirrung“ durch unterschiedliche Normen und Bewertungsansätze.

Bernhard Sommer, Präsident der Ziviltechnikerkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, und Rudolf Lessiak, Gründer der Rechtsanwaltskanzlei Lessiak & Partner und Professor am Institut für Zivilrecht der Universität Wien, bestätigten diese Zersplitterung der Regelwerke. Sommer plädierte für einheitliche Klimaziele und betonte, dass Nachhaltigkeit komplex, aber steuerbar sei. Lessiak hob hervor, dass die Stadt Wien bereits vorbildlich an der Integration von Klimaschutz in der Vergabepraxis arbeite, warnte jedoch davor, das Vergaberecht als „Schuhlöffel für den Green Deal“ zu missbrauchen – die rechtliche Komplexität dürfe nicht zu praxisfernen Lösungen führen.

Stadtbaudirektor von Wien, Bernhard Jarolim, beschrieb die Herausforderung, vielfältige Regelungen – von OIB-Richtlinien bis zur Kreislaufwirtschaftsstrategie – in umsetzbare Vorgaben zu überführen. Wien setze auf schrittweise, praxistaugliche Lösungen, etwa beim Projekt Nordwestbahnhof. Ziel sei eine faire, nachhaltige Vergabepraxis, die Lebenszykluskosten und Ressourcenschonung berücksichtigt.

Aus der Sicht der Planenden forderte Architektin Jutta Wörtl-Gößler eine frühere Einbindung von Architekt:innen in Vergabeprozesse. Das bringe nicht nur Qualitäts-, sondern auch Kostenvorteile. Zudem brauche es mehr Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, um den Wettbewerb zu stärken und Preisspiralen zu bremsen.

Ökobilanzierung von Baustoffen als Schlüssel zu mehr Transparenz

Ein zentrales Diskussionsthema war die Ökobilanzierung von Baustoffen. Sommer kritisierte lückenhafte Tools wie den OI3-Index und plädierte für eine Konzentration auf wenige, international vergleichbare Kennzahlen. Wörtl-Gößler unterstrich, dass konkrete CO₂-Bilanzen im geförderten Wohnbau bereits heute deutliche Einsparungen ermöglichen – etwa durch Umbau und Bestandserweiterung statt Neubau. Jarolim betonte, dass die Stadt Wien auf Baustoff-Fairness setzt, um einen gesunden Wettbewerb zu ermöglichen. Bei allen Bemühungen rund um das Thema klimafitte Vergabe wird Beton jedoch immer eine wichtige Rolle spielen wird wie auch der Neubau, so Jarolim. Spaun betonte, dass die faire Ökobilanzierung von Baustoffen in erster Linie lebenszyklusorientiert sein müsse, denn der Unterschied zwischen dem CO2-Fußabdruck von mineralischen und regenerativen Baustoffen sei in vielen Fällen nicht so eklatant wie oft behauptet.

Einigkeit bestand in der Runde darüber, dass Bestandserhalt und intelligente Materialwahl künftig zentrale Aufgaben des Bauens sein werden, wobei in Städten wie Wien leistbares Wohnen und moderne Infrastruktur ohne Neubau nicht möglich sein werden.

Fazit: Zwischen den ambitionierten Zielen des Klimaschutzes und den Realitäten des Vergaberechts besteht noch erheblicher Präzisierungsbedarf. Doch die Diskussion machte deutlich, dass Verwaltung, Wirtschaft und Planung bereit sind, gemeinsam an praxistauglichen Lösungen zu arbeiten – für ein nachhaltigeres, rechtssicheres und wirtschaftlich tragfähiges Bauen, das alle Baustoffe ehrlich bewertet.