Wie aus ehemaligen Gewinnungsstätten für mineralische Rohstoffe Biodiversitäts-Hotspots werden
Der Abbau von mineralischen Rohstoffen bedeutet immer auch einen Eingriff in Natur und Landschaft. Um das auszugleichen, werden nach dem Ende der Rohstoffgewinnung in den Steinbrüchen, Sand- und Kiesgruben neue Lebensräume für oftmals bedrohte Tier- und Pflanzenarten geschaffen. Dadurch entstehen wertvolle ökologische Nischen für seltene Arten, die einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt leisten. In Österreich werden in rund 350 Steinbrüchen und rund 950 Sand- und Kiesgruben mineralische Rohstoffe wie Grant, Quarz oder Kalkstein abgebaut, die in praktisch allen Wirtschaftszweigen verwendet werden. Der Großteil, rund 80 Prozent, kommt laut Angaben des Forums mineralische Rohstoffe, in der Bauwirtschaft zum Einsatz.
Plan für die Zeit danach
Wer in Österreich mineralische Rohstoffe abbauen will, braucht zwingend ein Konzept dafür, wie der Steinbruch oder die Schottergrube nach der wirtschaftlichen Nutzung der Natur wieder „zurückgegeben“ werden soll. Das geschieht entweder durch Rekultivierung oder Renaturierung. Unter Rekultivierung versteht man, dass der ursprüngliche Zustand des Standortes wiederhergestellt wird. Damit ist gemeint, dass dort, wo vor dem Rohstoffabbau zum Beispiel ein Fichtenwald war, danach auch wieder ein Fichtenwald gepflanzt wird. Im Gegensatz dazu zielt die Renaturierung auf eine naturnahe Wiederherstellung des Standortes ab. Dabei wird die Natur durch gezielte Maßnahmen, wie das Anlegen von Teichen oder das Setzen von Pionierpflanzen, dabei unterstützt, sich das Gebiet wieder zurückzuerobern. Ziel ist, dass sich das Ökosystem durch natürlich Prozesse und mithilfe der gesetzten Maßnahmen selbst wiederherstellt. Das geschieht in Zeiträumen von zehn bis 20 Jahren.
Platz für selten gewordene Arten
Seltene Vogelarten wie der Uhu und die Uferschwalbe finden in ehemaligen Steinbrüchen, Sand- und Kiesgruben Lebensbedingungen vor, die anderswo rar geworden sind und ihnen zum Beispiel land- oder forstwirtschaftlich intensiv genutzte Kulturlandschaften kaum mehr bieten können. Auch seltene Eidechsen-, Lurch- und Insektenarten und trockenheitsliebende Pflanzen, die längst zu seltenen und gefährdeten Arten geworden sind, finden hier vielfach Zuflucht.
Kovanda zeigt’s vor: Mehr als 8.000 Bäume, Schafe, Bienen
Ein solcher Zufluchtsort für die heimische Flora und Fauna befindet sich auch in Gerasdorf bei Wien auf dem Gelände des lokalen Unternehmens Kovanda. Der Familienbetrieb ist seit 87 Jahren ansässig und heute unter anderem in der Kies-, Sand- und Schottergewinnung sowie in der Betonproduktion und im Transport tätig. Im Zuge von Revitalisierungs- und Renaturierungsmaßnahmen hat das Unternehmen in Gerasdorf bereits mehr als 8.000 Bäume und Sträucher gepflanzt und knapp 25.000 m2 blühende Biodiversitätsflächen geschaffen.
Auch 14 Schafe leben auf dem Schafberg in Gerasdorf, der zu einem wichtigen Naherholungsgebiet in der Region werden soll. „Unsere Schafe sind ideal zur nachhaltigen und umweltschonenden Landschaftspflege des mitunter für Maschinen schwer zugänglichen Geländes“, erklärt Eva Kovanda jun., die gemeinsam mit ihren Eltern Leopold und Eva Kovanda an der Spitze des Unternehmens steht. Auch Wildtiere wie Rehe, Hasen, Enten und Fasane besuchen das begrünte Gelände. In Kooperation mit Imkern betreibt Kovanda zudem Bienenstöcke auf dem Firmengelände, deren fleißige Bewohnerinnen regionalen Honig produzieren. Nahrung finden sie reichlich, denn auf den Blumenwiesen gedeihen Ringelblumen, Sonnenblumen, Kümmel, Fenchel, Leindotter, Koriander, Kresse, Rotklee, Weißklee, Hornklee, Luzerne, Futterkohl, Inkarnatklee, Phazelie, Senf, Buchweizen und Malve.
Heute die Weichen für ein lebenswertes Morgen stellen
In dem bundesweiten Forschungsprojekt „Rohstoffgewinnungsbetriebe als Trittsteinbiotope“ gehen das Forum mineralische Rohstoffe, ausgewählte Partnerbetriebe und BirdLife Österreich bis Ende 2024 noch einen Schritt weiter. Sie wollen die Lebensräume in den stillgelegten Sand‐ und Kiesgruben sowie Steinbrüchen durch Trittsteinbiotope vernetzen. Unter Trittsteinbiotopen versteht man künstlich angelegte kleine Naturflächen, die es Tieren und Pflanzen ermöglichen, von einem Lebensraum zum nächsten zu gelangen, wenn diese zu weit auseinanderliegen. Österreichweit beteiligen sich 15 Betriebe mit insgesamt 30 Gewinnungsstätten an dem Projekt und setzen betriebsangepasste biodiversitätsfördernde Maßnahmen um.
Unter den Partnerbetrieben ist etwa die Niederndorfer Kieswerke-Transportbeton GmbH, die in ihrem oberösterreichischen Werk in Redlham ein potentielles Laichgewässer für die in Österreich als gefährdet eingestufte Gelbbauchunke erhalten, indem sie sicherstellen, dass das Gewässer in der Fortpflanzungsperiode nicht maschinell durchquert wird und dass bei gefährdender Austrocknung im Sommer eine Wiederauffüllung mit Wasser erfolgt. Im Kalksteinbruch Bad Deutsch-Altenburg der Firma Rohrdorfer Sand & Kies GmbH in Niederösterreich wurde im Bereich der obersten Abbauterrasse, an der Grenze des Abbaubereichs, eine Löss-Steilwand für das aktuelle Vorkommen des Bienenfressers mit zwölf Brutpaaren angelegt. Davon profitieren ebenfalls die im Bereich des Hundsheimer Berges vorkommenden zum Teil stark gefährdeten solitär lebenden Bienen- und Wespenarten.[3] Durch Maßnahmen wie diese kann das große naturschutzfachliche Potenzial von Rohstoffabbaustätten genutzt werden. So können Rohstoffgewinnung und Schutz der biologischen Vielfalt gemeinsam gelingen.